[German] Coronavirus: Wir sind noch immer Jäger und Sammler, zumindest ein bisschen

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11 March 2020

Frank Rühli

Neue Zürcher Zeitung

Founding Chair and Director, Institute of Evolutionary Medicine Faculty of Medicine, University of Zurich

Wenn der Mensch unter Druck kommt, handelt er, ohne zu überlegen – und fällt in evolutionsgeschichtlich etablierte Verhaltensmuster zurück. Gutes Krisenmanagement muss das berücksichtigen.

Die rasante globale Verbreitung des Coronavirus (Sars-CoV-2) wird seit Wochen auf vielfältigste Weise diskutiert. Ein wichtiger Aspekt geht dabei meist vergessen: die evolutionäre Perspektive, also das Verständnis für die Co-Evolution von Krankheitserreger, Wirt und Umwelt. Evolutionsgeschichtliche Überlegungen können uns lehren, den Umgang mit einer Epidemie besser zu verstehen und effizientere Massnahmen zu ihrer Bewältigung zu entwickeln.

Wir Menschen tragen einen evolutionären «Rucksack» mit uns herum, der unser Handeln und Denken mitbestimmt. Diesen abzulegen, fällt uns dann besonders schwer, wenn wir auf eine Situation nicht vorbereitet sind. Oder in Zeiten von Ungewissheit und Krisen. Für Evolutionsmediziner ist es nicht überraschend, zu sehen, wie viele Menschen mit rational nicht begründbaren Handlungen auf die Corona-Krise reagieren, mit Panikkäufen zum Beispiel. Wir sollten keine «Panik» vor der drohenden «Panik» haben. Die Frage ist eher: Wie geht man mit menschlichen Reaktionen am sinnvollsten um?

Das Handlungsrepertoire des Menschen ist bestens auf Egoismus, Sicherheit und lineares Denken eingestellt. Der rationale Umgang mit der Dynamik einer Epidemie (oder gar einer Pandemie), mit explodierenden Fallzahlen und diffusen Prognosen dagegen ist für uns schwierig. Die Verunsicherung durch einen neuen Krankheitserreger, von dem nach wie vor viele epidemiologische Kennzahlen unbekannt sind, fördert das «Zurückfallen» in evolutionär etablierte Verhaltensmuster.

«Ich fühle mich doch gesund!»

Rasches, kurzfristiges Handeln ist oft irrational und wenig nachhaltig. Aber aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive ist es verständlich, auch wenn es in unserer Gesellschaft weder vorgesehen noch gewollt ist. Deshalb muss bei jeder Krisenkommunikation nicht nur der kognitive, sondern auch der emotionale, unbewusste Teil im Menschen «abgeholt» werden. Gesundheitspolitische Strategien sollten berücksichtigen, dass nichtintuitive (und damit kontraevolutionäre) Empfehlungen wie auch negative Anreizsysteme schwierig umzusetzen sind.

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